Marcus König - Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg

Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Nürnberg zur „Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786“

Die „Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“, die bis 2023 unter dem weithin bekannten Namen „Woche der Brüderlichkeit“ firmierte, bewegte sich seit jeher, seit den frühen 1950er-Jahren, auf der Höhe der Zeit. Dabei war sie jedoch niemals einem tatsächlichen oder vermeintlichen Zeitgeist vorbehaltlos verpflichtet, nein, sie befasste sich auf der Grundlage der oftmals ambivalenten, in jedem Fall aber differenziert und kritisch zu betrachtenden Zeitströmungen und deren multiplen Wirkungen auf die Gesellschaft Jahr für Jahr aufs Neue offen, abwägend, prüfend und konstruktiv mit Gegebenheiten, Fragen und Problemen des christlich-jüdischen Austauschs und Zusammenwirkens. 

Das Motto der „Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786“ lautet „Füreinander Streiten“, wobei „streiten“ durchaus nicht im Sinne eines Kampfes, einer kriegerischen Auseinandersetzung gemeint ist. Vielmehr steht die Macht der Gedanken, der Vernunft, der Überzeugungen und der Worte ganz und gar im Vordergrund. Hier drängt sich angesichts der anthropologischen Konstante „Streit“ unweigerlich der Begriff der „Streitkultur“ auf, doch Vorsicht ist geboten. Einerseits, weil keinesfalls am Ende eines Streits ein Kompromiss stehen muss, häufig sind die jeweiligen Haltungen viel zu unterschiedlich dafür. In diesem Kontext ist es wichtig, zu betonen, dass ein Konsens hinsichtlich eines gemeinsamen und friedlichen Zusammenhalts überbewertet wird, denn Menschen unterschiedlicher Auffassungen müssen sich keineswegs feindlich gegenüberstehen. Andererseits, weil unsere in der Regel sehr humane, auf Respekt, Anstand, Menschlichkeit, Verantwortung und grundsätzliches Miteinander gründende Streitkultur noch sehr junge Wurzeln hat – und auch in unserer Welt wohl eher die Ausnahme als die Regel darstellt. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass auch wir über die Jahrhunderte hinweg ganz andere Streitkulturen hatten, mit denen wir uns heute, in Zeiten des gewaltfreien und mithin kultivierten Streitens und der zivilisierten Debatten, kaum mehr einverstanden erklären könnten. So wurde in Mittelalter und Frühneuzeit eine durch Waffengewalt erlittene und potenziell lebensbedrohliche Verwundung im Regelfall als weniger schwerwiegend empfunden als beispielsweise eine ehrverletzende Beleidigung, die mit der akuten Gefahr der gesellschaftlichen Ausgrenzung einherging. Der Aufklärung ist es auch in diesem Fall zu verdanken, dass sie unserem heutigen, sachlich-kritischen Verständnis von „Streitkultur“ maßgeblich den Weg ebnete. 

So schwer das „Streiten“ auch sein mag, wie viel schwerer ist doch vielfach das „Füreinander Streiten“! Denn auch hier, im jüdisch-christlichen Dialog, wird es sicherlich immer wieder Themen und Inhalte geben, bei denen nur eine teilweise oder gar keine Übereinstimmung erzielt werden kann. Doch dies ist normal und darf das gemeinsame Streben, die wegweisende „Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ nicht infrage stellen und erschüttern. Es muss das ernste Bestreben sein und bleiben, die Kooperation mit aller Intensität voranzutreiben, auch wenn unterschiedliche Ansichten, Meinungen und Überzeugungen notwendigerweise Bestand haben und deshalb ein „Füreinander Streiten“ nicht immer, aber doch so oft wie möglich gegeben sein wird. 

Der diesjährigen Veranstaltungen der „Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit“ wünsche ich viel Erfolg, großen Zuspruch seitens der Medien wie eines interessierten Publikums und eine inspirierend-anhaltende Wirkung. Der Dank gebührt allen, die sich um die Organisation der „Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786“ verdient gemacht haben.

 

Marcus König, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg